Die Geschichte des irischen Tanzes
Der irische Tanz – einst an ländlichen Straßenkreuzungen getanzt und heute auf den großen Bühnen von Riverdance und Lord of the Dance gefeiert – hat die Welt im Sturm erobert und sich zu dem Tanzereignis unserer Generation entwickelt. Der Startschuss für dieses internationale Tanzphänomen fiel erstaunlicherweise beim Eurovision Song Contest im Jahre 1994. Ein achtminütiger Pausenfüller hat das Fernsehpublikum in ganz Europa in seinen Bann gezogen und Riverdance zu einem kometenhaften Aufstieg verholfen..
Für die Zuschauer an den Bildschirmen in Deutschland, Finnland und über dreißig anderen europäischen Ländern war der Anblick dieser schicken, schwarz gekleideten Tänzer, die zu Dutzenden im Takt steppten und ihre Arme streng am Körper hielten, etwas völlig Neues und Aufregendes. Kaum einer wusste jedoch, was sich hinter dem irischen Tanz verbirgt: eine in sich geschlossene und leistungsorientierte Welt der Tanzwettbewerbe, die in ganz Irland und jedem Land mit hohem irischen Bevölkerungsanteil wie England, Schottland, Wales, Kanada, den USA, Neuseeland, Australien und Südafrika ausgerichtet werden. Das glamouröse Image, das den irischen Tanz heute begleitet, ist weit entfernt von den Feiseanna (Wettbewerben), die in verstaubten Gemeindehallen stattfinden und den Teilnehmern ein großes Maß an Schweiß und Disziplin abfordern. Manche behaupten, Riverdance hätte den irischen Tanz wieder sexy gemacht – andere sagen, dass er es nie war!
Fakt ist, dass in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts praktisch jeder in Irland tanzte. Doch wo kam dieser Ausdruck kultureller Identität her? Leider muss man sagen, dass sich die Ursprünge des irischen Tanzes im Nebel der Geschichte verlieren. Es gilt jedoch als sicher, dass der irische Tanz eine Mischung aus vielen einheimischen und fremdländischen Einflüssen ist. Die frühesten Formen des irischen Tanzes sind Jigs und Hornpipes, die in Irland schon seit mehreren hundert Jahren schriftlich belegt sind.
Viele Tänze kamen jedoch aus der Ferne. Um 1780 hielt die Quadrille, ein höfischer Tanz der französischen Aristokratie, Einzug in die oberen Schichten der irischen Gesellschaft und breitet sich schließlich bis in die bäuerliche Bevölkerung aus. Dieser Tanz wurde von ausländischen Tanzlehrern unterrichtet, die viele neue Tänze nach Irland brachten. Auch heute wird die Quadrille noch in Teilen Nordirlands mit der alten höfischen Zurückhaltung getanzt. Daraus entwickelte sich die informelle Form des Gruppentanzes, die als Set Dancing bezeichnet wurde und meist an öffentlichen Plätzen im Freien – oft auf Podesten an ländlichen Straßenkreuzungen – getanzt wurde. Aus dem Set Dancing ging der Sean-nos hervor, eine wilde und unreglementierte Form des Solotanzes, die im ländlichen Irland meist in Küchen und Stuben aufgeführt wurde. Bis vor Kurzem wurde der Sean-nos-Tanzstil nur noch von alten Männern in entlegenen Gebieten Irlands gepflegt, glücklicherweise erfuhr er in letzter Zeit jedoch eine Wiederbelebung.
Die wilde Hemmungslosigkeit des Sean-nos-Tanzstils und der enge Körperkontakt des Set Dancings wurden von den Tanzlehrern kritisch beäugt. Sie wollten vor allem einen Aspekt ändern, der die Zukunft des irischen Tanzes für immer bestimmen sollte: den Einsatz der Hände. Die Tanzlehrer missbilligten den übermäßigen Einsatz der Hände und zwangen die Tänzer, ihre Hände eng an den Seiten anzulegen. Sie drückten ihnen Schnüre, an denen Steine hingen, in die Hände, sodass die Tänzer Fäuste machen und die Arme unten halten mussten. Das Lächeln auf den Gesichtern verschwand und der irische Tanz wandelte sich komplett vom netten informellen Stil zum heutigen formellen Stil des traditionellen Tanzes.
Um die Jahrhundertwende gründete Douglas Hyde, der spätere erste Präsident Irlands, die Gaelic League mit dem erklärten Ziel, der gälischen Kultur neues Leben einzuhauchen – dazu gehörte die Sprache, die Literatur, die Spiele, die Musik und natürlich auch der Tanz. Die Gaelic League reglementierte die Set Dances und nannte die neue formale Version Ceili Dancing. Die strenge Solo- und Wettbewerbsform erhielt den Namen Step Dancing. Diese neuen Entwicklungen machten den irischen Tanz in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts so populär, dass praktisch jeder im Land tanzte. Der Klerus befürchtete, dass die an jeder Straßenkreuzung des ländlichen Irlands getanzten Set Dances „zur Sünde verleiten“ könnten und schwangen sich zum Wächter über das neu formalisierte Ceili Dancing auf, das meist in Gemeindehallen stattfand. Die Fixierung des Klerus auf die Sittlichkeit führte dazu, dass die Berührung des Partners beim Ceili Dancing auf ein Minimum reduziert und dem Step Dancing der letzte Rest an Sinnlichkeit geraubt wurde. Durch diesen neuen, vom Klerus inspirierten Stil des Ceili Dancings verlor der irische Tanz den letzten Hauch von Erotik.
Zwischen dem irischen Tanz und dem Stepptanz bestand immer eine enge Verbindung. Legenden des Stepptanzes wie Gene Kelly und Jimmy Cagney sollen zuerst irischen Tanz gelernt haben, bevor sie zum Stepptanz übergingen. Die Tanzkarriere des weltbekannten Stepptänzers und -lehrers Jimmy Payne begann ebenfalls mit Jigs und Reels. Viele glauben, das die Ursprünge des Stepptanzes auch auf den irischen Tanz zurückgehen. Schon in den Zwanzigerjahren des 18. Jahrhunderts wurden Formen des Stepptanzes, die auch Elemente des englischen Holzschuhtanzes und verschiedene afrikanische Rhythmen einbanden, aufgeführt.